• Kein Zurückbehaltungsrecht für Hausgeld

    Kein Zurück­be­hal­tungs­recht für Haus­geld – die­ser Satz steht seit einem neu­en Grund­satz­ur­teil des Bun­des­ge­richts­hofs im Mit­tel­punkt der woh­nungs­ei­gen­tums­recht­li­chen Dis­kus­si­on. Das Urteil stellt klar, dass Woh­nungs­ei­gen­tü­mer lau­fen­de Haus­geld­vor­schüs­se selbst dann zah­len müs­sen, wenn die Gemein­schaft ihren Pflich­ten nicht ord­nungs­ge­mäß nach­kommt oder Jah­res­ab­rech­nun­gen feh­len. Die­se Ent­schei­dung betrifft Mil­lio­nen von Woh­nungs­ei­gen­tü­mern, Haus­ver­wal­tun­gen und Rechts­be­ra­tern – und sie ver­än­dert das Ver­ständ­nis der finan­zi­el­len Ord­nung in WEG-Gemein­schaf­ten nachhaltig.

    In die­sem Arti­kel beleuch­ten wir den gesam­ten Fall, erklä­ren die Hin­ter­grün­de, ana­ly­sie­ren die Grün­de des Gerichts und zei­gen, wel­che Bedeu­tung die­ses Urteil für die Zukunft der Ver­wal­tungs­pra­xis hat.

    Was ist passiert?

    Im Mit­tel­punkt des Falls steht ein Woh­nungs­ei­gen­tü­mer, der über meh­re­re Mona­te hin­weg Haus­geld­vor­schüs­se aus dem Wirt­schafts­plan nicht bezahlt hat­te. Die Gemein­schaft der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer (GdWE) ver­lang­te über 18.000 Euro an rück­stän­di­gen Vor­schüs­sen. Der Eigen­tü­mer ver­tei­dig­te sich damit, dass die Gemein­schaft seit Jah­ren kei­ne ord­nungs­ge­mä­ßen Jah­res­ab­rech­nun­gen erstellt und beschlos­sen hat­te. Zudem lag sogar ein rechts­kräf­ti­ges Urteil gegen die GdWE vor, das sie zur Erstel­lung der Jah­res­ab­rech­nung 2019 verpflichtete.

    Der Eigen­tü­mer war der Auf­fas­sung, er dür­fe sei­ne Zah­lungs­pflicht so lan­ge zurück­be­hal­ten, bis die GdWE ihren gesetz­li­chen Pflich­ten nach­kom­me. Er berief sich auf das Zurück­be­hal­tungs­recht nach § 273 BGB.

    Doch der BGH wies die Revi­si­on zurück: Kein Zurück­be­hal­tungs­recht für Haus­geld, selbst dann nicht, wenn die Gegen­for­de­run­gen rechts­kräf­tig fest­ge­stellt sind. Damit schuf der Senat eine kla­re und ein­deu­ti­ge Leit­li­nie für alle künf­ti­gen Fäl­le die­ser Art

    Hintergründe – Warum es kein Zurückbehaltungsrecht für Hausgeld geben soll

    Die Dis­kus­si­on um das Zurück­be­hal­tungs­recht bei Haus­geld­zah­lun­gen ist nicht neu. Sie beglei­tet das WEG-Recht seit Jahr­zehn­ten und hat sich beson­ders seit der WEG-Reform 2020 intensiviert.

    1. Hausgeld als Finanzierungsgrundlage der Gemeinschaft

    Die Vor­schüs­se aus dem Wirt­schafts­plan nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG sind das finan­zi­el­le Rück­grat jeder Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft. Sie sichern:

    • den Betrieb der gesam­ten Wohnanlage,

    • Ver­si­che­run­gen,

    • Ener­gie­ver­sor­gung,

    • Pfle­ge und Instandhaltung,

    • Ver­wal­tungs­tä­tig­kei­ten,

    • Rück­la­gen für unvor­her­ge­se­he­ne Reparaturen.

    Wenn Eigen­tü­mer ihre Zah­lun­gen zurück­hal­ten könn­ten, wür­de die GdWE ihre Funk­ti­ons­fä­hig­keit ver­lie­ren. Genau die­sen Aspekt stell­te der BGH in den Mittelpunkt.

    2. Die WEG-Reform 2020 und die neue Verantwortung der GdWE

    Seit dem 1. Dezem­ber 2020 ist nicht mehr der Ver­wal­ter, son­dern die Gemein­schaft selbst ver­pflich­tet, Jah­res­ab­rech­nun­gen zu erstel­len. Dadurch besteht die nöti­ge Gegen­sei­tig­keit der Ansprüche:

    • GdWE for­dert Hausgeld

    • Eigen­tü­mer for­dert Jahresabrechnung

    Trotz­dem ent­schied der BGH, dass die­ser for­ma­le Aspekt nicht zu einem Zurück­be­hal­tungs­recht führt.

    3. Frühere Rechtsprechung des BGH

    Der BGH hat­te bereits frü­her ange­deu­tet, dass ein Zurück­be­hal­tungs­recht bei Haus­geld­zah­lun­gen pro­ble­ma­tisch ist. Doch erst­mals wur­de nun höchst­rich­ter­lich klargestellt:

    Ein Zurück­be­hal­tungs­recht gegen­über Haus­geld­for­de­run­gen gibt es gene­rell nicht.

    Die­se Klar­stel­lung war über­fäl­lig und been­det eine lang­jäh­ri­ge juris­ti­sche Debatte.

    Worüber wurde gestritten? – Kein Zurückbehaltungsrecht trotz Pflichtverletzungen

    Der Streit dreh­te sich um drei zen­tra­le Punkte:

    1. Fehlen die Jahresabrechnungen?

    Ja, und das sogar seit vie­len Jah­ren. Es lagen kei­ne Jah­res­ab­rech­nun­gen seit 2012 vor – ein gra­vie­ren­der Mangel.

    2. Gibt es einen rechtskräftig festgestellten Anspruch des Eigentümers?

    Ja. Die GdWE war gericht­lich ver­pflich­tet wor­den, die Jah­res­ab­rech­nung 2019 zu erstel­len. Den­noch blieb sie untätig.

    3. Darf der Eigentümer dennoch zahlen verweigern?

    Der eigent­li­che Streit­punkt: Darf ein Eigen­tü­mer wegen der Pflicht­ver­let­zung der Gemein­schaft sei­ne Zah­lun­gen zurückhalten?

    Der BGH ent­schied: Nein. Kein Zurück­be­hal­tungs­recht für Hausgeld.

    Selbst schwer­wie­gen­de Pflicht­ver­stö­ße der GdWE ändern dar­an nichts.

    Urteil des Gerichts – Kein Zurückbehaltungsrecht für Hausgeld in allen Fällen

    Mit deut­li­chen Wor­ten stell­te der BGH fest:

    Gegen den Anspruch der GdWE auf Haus­geld­vor­schüs­se gibt es kein Zurück­be­hal­tungs­recht – auch nicht bei aner­kann­ten oder rechts­kräf­tig fest­ge­stell­ten Gegen­an­sprü­chen.
    (BGH, Urteil v. 14.11.2025, V ZR 190/24)

    Der Senat bestä­tig­te die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen und wies die Revi­si­on voll­stän­dig zurück.

    Beson­ders wich­tig:
    Der BGH kom­men­tier­te nicht nur den kon­kre­ten Fall, son­dern for­mu­lier­te einen grund­sätz­li­chen Rechts­satz. Damit wird das Urteil weit über den Ein­zel­fall hin­aus Bedeu­tung haben.

    Begründung des Urteils – Warum es wirklich kein Zurückbehaltungsrecht für Hausgeld geben kann

    Der BGH stützt sei­ne Ent­schei­dung auf meh­re­re Kern­ge­dan­ken, die wir im Detail beleuchten.

    1. Schutz der Liquidität der Gemeinschaft

    Die wich­tigs­te Begrün­dung lautet:

    Die GdWE braucht lau­fen­de Liqui­di­tät. Ohne Haus­geld funk­tio­niert die Ver­wal­tung nicht.

    Das Gericht betont, dass feh­len­de Liqui­di­tät zu mas­si­ven Pro­ble­men füh­ren kann:

    • Ver­sor­gungs­sper­ren,

    • Gefähr­dung des Versicherungsschutzes,

    • Ver­zugs­zin­sen,

    • Aus­fall von Instandhaltungsmaßnahmen,

    • Still­stand der Verwaltung.

    Selbst weni­ge säu­mi­ge Eigen­tü­mer kön­nen die Gemein­schaft in eine kri­ti­sche Lage bringen.

    2. Das Zurückbehaltungsrecht ist nur ein Druckmittel – und daher ungeeignet

    Das Zurück­be­hal­tungs­recht ist ein tak­ti­sches Instru­ment, kein Erfül­lungs­er­satz. Es führt nicht zu einer Til­gung der Schuld, son­dern ver­hin­dert die Zahlung.

    Anders wäre es bei einer Auf­rech­nung, die der BGH aus­drück­lich nicht aus­ge­schlos­sen hat – aller­dings nur in Aus­nah­me­fäl­len, z. B. bei rechts­kräf­ti­gen Gegenforderungen.

    3. Einzelfallprüfungen wären unpraktikabel

    Der BGH lehnt es aus­drück­lich ab, im Ein­zel­fall zu prü­fen, ob die Ver­wal­tung tat­säch­lich beein­träch­tigt wird. Das wäre weder prak­ti­ka­bel noch rechtssicher.

    Statt­des­sen gilt: Ein pau­scha­ler Aus­schluss ist not­wen­dig, um die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der Gemein­schaft zu gewährleisten.

    4. Der Eigentümer hat andere Mittel

    Der BGH zeigt auch Alter­na­ti­ven auf:

    • Voll­stre­ckung der titu­lier­ten Ansprüche

    • Kla­ge auf Beschlussfassung

    • Ver­wal­ter­wech­sel

    • Scha­dens­er­satz

    • Abbe­ru­fung des Verwalters

    Die­se Mit­tel soll der Eigen­tü­mer nut­zen – nicht aber die Blo­cka­de der Hausgeldvorschüsse.

    5. Auch bei rechtskräftigen Urteilen gilt: Kein Zurückbehaltungsrecht

    Selbst ein bereits erwirk­ter Titel, wie im kon­kre­ten Fall zur Jah­res­ab­rech­nung 2019, ändert nichts an der Zah­lungs­pflicht. Die Logik:

    • Die Pflicht der GdWE zur Abrech­nung bleibt bestehen.

    • Die Pflicht des Eigen­tü­mers zur Zah­lung ebenfalls.

    Bei­de Pflich­ten bestehen neben­ein­an­der – unab­hän­gig voneinander.

    Bedeutung für die Zukunft – Warum das Prinzip die Praxis prägen wird

    Die Ent­schei­dung des BGH hat Aus­wir­kun­gen auf Mil­lio­nen von Eigen­tü­mern und tau­sen­de Hausverwaltungen.

    1. Rechtssicherheit für Verwalter und Gemeinschaften

    Ver­wal­ter kön­nen nun zwei­fels­frei argumentieren:

    „Haus­geld ist immer zu zah­len – egal, wel­che Män­gel bestehen.“

    Das führt zu:

    • schnel­le­ren Zahlungswegen,

    • weni­ger Rechtsstreitigkeiten,

    • sta­bi­le­ren Finanzlagen,

    • kla­re­ren Verantwortlichkeiten.

    2. Eigentümer müssen andere Wege gehen

    Vie­le Eigen­tü­mer haben sich in der Ver­gan­gen­heit auf das Zurück­be­hal­tungs­recht ver­las­sen. Das ist nun nicht mehr möglich.

    Statt­des­sen gilt: Rech­te durch­set­zen – aber Zah­lun­gen leisten.

    3. Beschlussfassungen und Abrechnungen werden wichtiger

    Weil das Zurück­be­hal­tungs­recht ent­fällt, steigt der Druck auf Eigentümergemeinschaften:

    • Abrech­nun­gen müs­sen ord­nungs­ge­mäß erstellt werden.

    • Wirt­schafts­plä­ne müs­sen kor­rekt beschlos­sen werden.

    • Ver­wal­ter müs­sen sorg­fäl­tig arbeiten.

    Ver­sto­ßen sie dage­gen, dro­hen recht­li­che Kon­se­quen­zen – aber nicht mehr feh­len­de Hausgeldzahlungen.

    4. Beratungspraxis verändert sich

    Rechts­an­wäl­te und Ver­wal­ter müs­sen ihre Bera­tung anpassen:

    • Warn­hin­weis: Kein Zurück­be­hal­tungs­recht mehr.

    • Fokus auf Anfech­tung, Kla­ge und Vollstreckung.

    • Kla­re Emp­feh­lun­gen zur Beweis­si­che­rung und Dokumentation.

    5. Stärkung der GdWE als rechtsfähiges Organ

    Die Ent­schei­dung bestä­tigt erneut die Linie des Gesetz­ge­bers: Die GdWE ist tra­gen­de Ver­ant­wor­tungs­trä­ge­rin – und sie braucht Planungssicherheit.

    Und Haus­geld ist das Fun­da­ment die­ser Planungssicherheit.

    Fazit zum Urteil

    Das Urteil schafft eine ein­deu­ti­ge, kla­re und leicht ver­ständ­li­che Rechtslage:

    Es gibt kein Zurück­be­hal­tungs­recht für Haus­geld – ausnahmslos.

    Die Ent­schei­dung stärkt die finan­zi­el­le Sta­bi­li­tät aller Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaf­ten und sorgt dafür, dass Ver­wal­tung, Betrieb und Instand­hal­tung nicht durch Ein­zel­in­ter­es­sen blo­ckiert wer­den kön­nen. Für Eigen­tü­mer bedeu­tet dies zugleich mehr Ver­ant­wor­tung und die Not­wen­dig­keit, ihre Rech­te auf ande­rem Wege durchzusetzen.

    Das Urteil wird die Pra­xis der WEG-Ver­wal­tung und die juris­ti­sche Bera­tung weit über den Ein­zel­fall hin­aus beein­flus­sen. Es ist ein Grund­satz­ur­teil, das die moder­ne Struk­tur des Woh­nungs­ei­gen­tums­rechts kon­se­quent weiterentwickelt.

    (BGH-Urteil v. 14.11.2025, Az. V ZR 190/24)