• BGH-Urteil zur Solaranlage: Neue Regeln für Eigentümer

    Solaranlage: Was Eigentümer jetzt wissen müssen

    Der Bun­des­ge­richts­hof hat am 18. Juli 2025 eine rich­tungs­wei­sen­de Ent­schei­dung zur Zuläs­sig­keit und zum Rück­bau von Solar­an­la­gen auf Bal­ko­nen, sog. Bal­kon­kraft­wer­ke, getrof­fen. Das Urteil zeigt, wie kom­plex der Kon­flikt zwi­schen indi­vi­du­el­lem Gestal­tungs­in­ter­es­se und gemein­schaft­li­chem Eigen­tum sein kann. Es gibt kla­re Ant­wor­ten auf Fra­gen, die vie­le Eigen­tü­mer, Ver­wal­ter und Juris­ten seit der WEG-Reform 2020 beschäftigen.

    Im Fol­gen­den erklä­ren wir ein­fach, prä­zi­se und gut struk­tu­riert, was pas­siert ist, wor­über gestrit­ten wur­de, wie der BGH ent­schie­den hat und was das für zukünf­ti­ge Fäl­le bedeutet.

    Was ist passiert?

    Ein Woh­nungs­ei­gen­tü­mer hat­te schon seit vie­len Jah­ren eine Solar­an­la­ge an der Brüs­tung sei­nes hof­sei­ti­gen Bal­kons ange­bracht. Bereits im Jahr 2004 war er durch ein Gericht ver­pflich­tet wor­den, die­se Anla­ge zu ent­fer­nen. Die Zwangs­voll­stre­ckung schei­ter­te jedoch, und spä­ter blieb unklar, ob es sich noch um die­sel­be Anla­ge oder eine neue Kon­struk­ti­on handelt.

    Heu­te befin­det sich eine gro­ße, aus neun Panee­len bestehen­de Solar­an­la­ge über die gesam­te Län­ge des Bal­kons. Sie ist deut­lich sicht­bar, nach­dem die Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft (WEG) zwi­schen 2018 und 2022 zahl­rei­che Pflan­zen ent­fernt hat­te, die die Anla­ge zuvor ver­deckt hatten.

    Die Gemein­schaft ver­lang­te den Rück­bau – wie­der ein­mal. Das Amts­ge­richt Wed­ding gab der Kla­ge statt. Das Land­ge­richt Ber­lin hob die­ses Urteil auf und wies die Kla­ge ab. Schließ­lich lan­de­te der Streit erneut vor dem Bundesgerichtshof.

    Die Hintergründe – Neues Recht, altes Recht

    Damit das Urteil ver­ständ­lich wird, lohnt ein Blick auf die kom­pli­zier­te Gemenge­la­ge aus altem und neu­em Wohnungseigentumsrecht.

    Die Solar­an­la­ge könn­te nach 2004 ver­än­dert, ersetzt oder neu ange­bracht wor­den sein. Das ist ent­schei­dend, weil die WEG-Reform 2020 das Recht der bau­li­chen Ver­än­de­run­gen grund­le­gend ver­än­dert hat.

    Der BGH stellt klar: Für den Rück­bau­an­spruch gilt das Recht zu dem Zeit­punkt, zu dem die bau­li­che Ver­än­de­rung abge­schlos­sen wurde.

    Das heißt:

    • alte Anla­ge → altes Recht (§ 22 WEG aF)

    • neue Anla­ge → neu­es Recht (§ 20 WEG nF)

    Da jedoch unklar war, wann und ob die Anla­ge erneu­ert wur­de, muss­te der BGH bei­de Rechts­la­gen prüfen.

    Sicher war nur: Die heu­te sicht­ba­re Anla­ge ver­än­dert das Erschei­nungs­bild der Wohn­an­la­ge erheblich.

    Worüber wurde gestritten?

    Der Streit dreh­te sich im Kern um vier Fragen:

    1. Durf­te die Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft nach so vie­len Jah­ren über­haupt noch Rück­bau ver­lan­gen?
      Ja – weil der frü­he­re Voll­stre­ckungs­ti­tel nicht mehr ver­füg­bar oder wirk­sam war.

    2. Gilt altes oder neu­es WEG-Recht?
      Unklar – daher muss­te der BGH bei­de Vari­an­ten prüfen.

    3. Ist die Solar­an­la­ge eine bau­li­che Veränderung?
      Ja – auch ohne Sub­stanz­ein­griff, weil sie das opti­sche Gesamt­bild mas­siv verändert.

    4. Kann der Eigen­tü­mer den Rück­bau ver­hin­dern, indem er behaup­tet, einen Anspruch auf Gestat­tung zu haben?
      Nach neu­em Recht: nein.
      Nach altem Recht: nur unter engen Voraussetzungen.

    Der BGH muss­te also dar­über ent­schei­den, ob die WEG einen Besei­ti­gungs­an­spruch aus § 1004 BGB hat, ob der Eigen­tü­mer einen Gestat­tungs­an­spruch gel­tend machen kann und wel­che Rol­le der opti­sche Ein­druck spielt.

    Solaranlage: Das BGH-Urteil

    Der Bun­des­ge­richts­hof hob das Urteil des Land­ge­richts auf und stell­te die erst­in­stanz­li­che Ent­schei­dung wie­der her:
    Der Eigen­tü­mer muss die Solar­an­la­ge ent­fer­nen bzw. so ver­än­dern, dass sie von außen nicht mehr sicht­bar ist.

    Der BGH argu­men­tiert zweistufig:

    1. Auch nach neu­em Recht ist die Anla­ge rechtswidrig.
      Denn bau­li­che Ver­än­de­run­gen benö­ti­gen einen Beschluss der Gemein­schaft (§ 20 Abs. 1 WEG).
      Einen sol­chen gab es nicht.
    2. Auch nach altem Recht liegt eine erheb­li­che opti­sche Beein­träch­ti­gung vor.
      Das bedeu­tet: Die übri­gen Eigen­tü­mer hät­ten zustim­men müs­sen (§ 22 Abs. 1 WEG aF).
      Auch das war nicht der Fall.

    Damit war klar:
    Egal ob altes oder neu­es Recht – die Anla­ge ist unzu­läs­sig und muss weg.

    Begründung des Urteils

    Der BGH lie­fert eine Fül­le an wich­ti­gen recht­li­chen Klar­stel­lun­gen. Die wich­tigs­ten Punkte:

    Bauliche Veränderung auch ohne Substanzeingriff

    Der BGH stellt erst­mals aus­drück­lich klar: Eine bau­li­che Ver­än­de­rung setzt kei­nen Ein­griff in die Gebäu­de­sub­stanz vor­aus. Es genügt eine auf Dau­er ange­leg­te Maß­nah­me, die das Erschei­nungs­bild wesent­lich verändert.

    Damit been­det der BGH eine seit Jah­ren geführ­te Diskussion.

    Optische Beeinträchtigung reicht aus

    Ent­schei­dend ist der opti­sche Gesamt­ein­druck. Die Solar­an­la­ge ist groß, farb­lich auf­fäl­lig und unter­schei­det sich klar von ande­ren Balkonen.

    Damit liegt ein Nach­teil im Sin­ne des alten § 14 Nr. 1 WEG aF vor.

    Kein Treu-und-Glauben-Schutz nach neuem Recht

    Bei bau­li­chen Ver­än­de­run­gen nach neu­em Recht reicht es nicht aus, sich spä­ter auf einen hypo­the­ti­schen Anspruch auf Gestat­tung zu berufen.

    Ein Eigen­tü­mer müss­te aktiv Wider­kla­ge zur Beschluss­erset­zung erhe­ben – was im Fall nicht gesche­hen ist.

    Keine Privilegierung durch Stecker-Solargeräte

    Die Neu­re­ge­lung ab Okto­ber 2024 für klei­ne Bal­kon­kraft­wer­ke hilft hier nicht – denn die­se Pri­vi­le­gie­rung gilt nur für das neue Recht und setzt zwin­gend einen Beschluss voraus.

    Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entscheidend

    Für die Beur­tei­lung der opti­schen Beein­träch­ti­gung kommt es auf die letz­te Tat­sa­chen­ver­hand­lung an – nicht auf frü­he­re Ver­de­ckun­gen durch Pflanzen.

    Bedeutung für die Zukunft

    Die­ses Urteil hat eine enor­me Rele­vanz für die Praxis.

    1. Solaranlagen (Balkonkraftwerke) auf Balkonen bleiben genehmigungspflichtig

    Auch moder­ne Bal­kon­kraft­wer­ke kön­nen eine bau­li­che Ver­än­de­rung dar­stel­len – ins­be­son­de­re wenn sie sicht­bar mon­tiert wer­den und das Gesamt­bild verändern.

    2. Kein Substanzeingriff erforderlich

    Der BGH macht klar: Optik reicht. Schon eine rein opti­sche Ver­än­de­rung kann eine bau­li­che Ver­än­de­rung sein.

    Damit steigt die Zahl der Fäl­le, in denen ein Beschluss nötig wird.

    3. Beschlusszwang nach neuem Recht

    Seit 2020 führt kaum ein Weg am Beschluss vor­bei. Eigen­tü­mer dür­fen nicht eigen­mäch­tig handeln.

    4. Alte und neue Anlagen müssen unterschieden werden

    In vie­len Altanla­gen wird künf­tig zu prü­fen sein:

    • Wann wur­de die Anla­ge gebaut?

    • Gilt altes oder neu­es Recht?

    • Ist die Anla­ge optisch störend?

    5. Verwalter müssen aufmerksam sein

    Ver­wal­ter soll­ten künftig:

    • bau­li­che Ver­än­de­run­gen kon­se­quent dokumentieren

    • Eigen­tü­mer über die Beschluss­la­ge informieren

    • Beschluss­fas­sun­gen sau­ber vorbereiten

    • opti­sche Ver­än­de­run­gen im Gemein­schaft­ei­gen­tum trans­pa­rent machen

    6. Für Eigentümer steigt das Risiko

    Wer heu­te eine Solar­an­la­ge anbringt, muss wis­sen:
    Ein Rück­bau kann selbst Jahr­zehn­te spä­ter ver­langt wer­den – und zwar zu Recht.

    7. Für die Energiewende ist das Urteil zwiespältig

    Einer­seits schafft es Rechts­si­cher­heit. Ande­rer­seits erschwert es indi­vi­du­el­le Initia­ti­ven von Eigen­tü­mern, die ihren Bal­kon zur Mini-Solar­an­la­ge machen wollen.

    Fazit

    Das Urteil V ZR 29/24 ist ein Mei­len­stein des Woh­nungs­ei­gen­tums­rechts. Es bringt Klar­heit in einer zen­tra­len Streit­fra­ge: Wann liegt eine bau­li­che Ver­än­de­rung vor und wel­che Anfor­de­run­gen gel­ten für Solar­an­la­gen auf Balkonen?

    Der BGH zeigt:

    • Optik zählt.

    • Beschlüs­se sind unverzichtbar.

    • Eigen­tü­mer dür­fen nicht eigen­mäch­tig handeln.

    • Die Gemein­schaft hat ein star­kes Schutz­recht auf ein har­mo­ni­sches Erscheinungsbild.

    Für die Pra­xis bedeu­tet das: Jede sicht­ba­re Solar­an­la­ge ist kri­tisch und muss im Zwei­fel von der Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft geneh­migt werden.

    (BGH-Urteil v. 18.7.2025, Az. V ZR 29/24)