Wer zahlt, wenn Baumängel schon beim Bau vorhanden waren? Der Bundesgerichtshof hat die Frage danach wer die Kosten für anfängliche Mängel tragen muss entschieden. Er stellte klar: Wenn die Gemeinschaftsordnung bestimmte Kosten einzelnen Eigentümern auferlegt, umfasst das auch die Beseitigung anfänglicher Mängel. Damit setzt der BGH einen wichtigen Maßstab für Wohnungseigentümergemeinschaften.
Was ist passiert?
Eine Eigentümerin in München war Teil einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Wohnanlage war von Anfang an mit Baumängeln behaftet. Besonders betroffen waren die Fenster.
Die Gemeinschaftsordnung aus dem Jahr 2004 enthielt eine klare Regel: Jeder Eigentümer trägt die Kosten für bestimmte Gebäudeteile – auch wenn sie rechtlich Gemeinschaftseigentum sind. Dazu gehörten Fensterstöcke, Fensterrahmen und Fensterscheiben.
2021 beschloss die Gemeinschaft, die Mängel am Gemeinschaftseigentum zu beseitigen. Zur Finanzierung wurde eine Sonderumlage von 875.000 Euro nach Miteigentumsanteilen erhoben. Die Klägerin hielt diesen Beschluss für rechtswidrig.
Hintergründe
Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) sieht vor: Grundsätzlich tragen die Eigentümer Kosten nach Miteigentumsanteilen (§ 16 Abs. 2 WEG). Die Gemeinschaftsordnung kann hiervon abweichen.
Solche Abweichungen sind in der Praxis weit verbreitet. Oftmals sollen Eigentümer die Kosten für Fenster, Balkone oder Terrassen alleine tragen. Unklar war bisher, ob diese Kostentragung auch anfängliche Baumängel umfasst – also Schäden, die bereits beim Bau vorhanden sind.
Hier liegt die Brisanz: Anfängliche Baumängel können sehr teuer sein. Ob diese Kosten auf alle verteilt oder auf einzelne Eigentümer abgewälzt werden, ist entscheidend für die finanzielle Belastung.
Worüber wurde gestritten?
Die zentrale Streitfrage: Deckt die Regelung in der Gemeinschaftsordnung auch die Beseitigung anfänglicher Mängel?
- Position der Klägerin: Ja. Die Umlage nach Miteigentumsanteilen widerspricht der Gemeinschaftsordnung.
- Position der Beklagten (Gemeinschaft): Nein. Die Gemeinschaftsordnung betreffe nur spätere Instandhaltungen, nicht aber anfängliche Baumängel.
Das Amtsgericht München wies die Klage ab. Das Landgericht München I gab der Klägerin Recht. Schließlich entschied der Bundesgerichtshof.
Urteil des Gerichts
Der Bundesgerichtshof wies die Revision zurück. Die Kostenregelung der Gemeinschaftsordnung gilt – auch für anfängliche Mängel.
Wichtige Aussagen:
- Gemeinschaftsordnungen können abweichende Kostenverteilungen festlegen.
- Eine solche Regelung umfasst im Zweifel auch die Beseitigung von Baumängeln, die von Anfang an bestanden.
- Der Beschluss über die Sonderumlage nach Miteigentumsanteilen war daher fehlerhaft.
Begründung des Urteils
Der Senat stützte sich auf folgende Überlegungen:
- Auslegung der Gemeinschaftsordnung
Der Wortlaut war eindeutig: Die Eigentümer tragen Kosten für Fenster. „Instandsetzung“ umfasst nach ständiger Rechtsprechung auch die Beseitigung anfänglicher Mängel. - Sinn und Zweck
Der Gedanke der Kostentrennung spricht für eine weite Auslegung. Nur so ist eine klare Zuweisung möglich. Andernfalls müsste aufwendig geprüft werden, ob ein Mangel anfänglich oder später entstanden ist. - Praktikabilität
Viele Mängel entstehen zwar beim Bau, zeigen sich aber erst später. Eine Trennung würde zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen. - Einwand der Beklagten
Dass Eigentümer anfängliche Mängel nicht beeinflussen können, sei richtig. Aber auch die Nutzung kann solche Mängel verstärken. Außerdem dient die klare Kostenregelung der Rechtssicherheit.
Bedeutung für die Zukunft
Das Urteil hat hohe praktische Relevanz:
- Für Eigentümer: Wer eine Einheit kauft, muss die Gemeinschaftsordnung genau prüfen. Kosten für Fenster oder andere Bauteile können auch für anfängliche Mängel auf sie zukommen.
- Für Verwalter: Sie müssen Beschlüsse zur Kostenverteilung streng an der Gemeinschaftsordnung messen. Eine Umlage nach Miteigentumsanteilen ist unzulässig, wenn eine Sonderregelung greift.
- Für Juristen: Das Urteil klärt eine umstrittene Rechtsfrage. Es bestätigt, dass Instandsetzungsklauseln in Gemeinschaftsordnungen weit auszulegen sind.
- Für Bauträger: Auch wenn Baumängel von Anfang an bestehen, können sie auf einzelne Eigentümer umgelegt werden – sofern die Gemeinschaftsordnung dies vorsieht.
Damit stärkt der BGH die Vertragsfreiheit innerhalb der Gemeinschaftsordnung, betont aber zugleich die Bindungswirkung solcher Regelungen. Das BGH-Urteil zur Tragung der Kosten für anfängliche Mängel verdeutlicht: Eine Gemeinschaftsordnung kann Eigentümer verpflichten, auch anfängliche Baumängel zu tragen. Für Käufer von Eigentum bedeutet das: Sorgfältig prüfen, welche Lasten die Gemeinschaftsordnung vorsieht.