• BGH: Eigenbedarfskündigung auch bei geplantem Wohnungsverkauf zulässig

    BGH Eigenbedarfskündigung trotz Wohnungsverkauf möglich

    Eine Eigen­be­darfs­kün­di­gung kann auch dann wirk­sam sein, wenn der Ver­mie­ter sei­ne bis­he­ri­ge Woh­nung umbau­en und anschlie­ßend ver­kau­fen will. Das hat der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) in einem aktu­el­len Urteil ent­schie­den. Damit stärkt der BGH die Rech­te von Ver­mie­tern, die ihre Wohn­si­tua­ti­on ver­än­dern möch­ten – und schränkt zugleich die bis­he­ri­ge restrik­ti­ve Pra­xis eini­ger Instanz­ge­rich­te ein.

    Was ist passiert?

    Der Fall begann in Ber­lin. Eine Ver­mie­te­rin, in die­sem Fall ein Eigen­tü­mer, bewohn­te eine Woh­nung im vier­ten Ober­ge­schoss eines Mehr­par­tei­en­hau­ses. Direkt dar­un­ter befand sich die Woh­nung der Mie­te­rin, die seit 2006 dort lebte.

    Der Ver­mie­ter woll­te das dar­über­lie­gen­de Dach­ge­schoss aus­bau­en und mit sei­ner eige­nen Woh­nung zu einer gro­ßen, moder­nen Wohn­ein­heit ver­bin­den. Anschlie­ßend plan­te er, die­se aus­ge­bau­te Ein­heit zu verkaufen.

    Wäh­rend der Umbau­pha­se woll­te der Ver­mie­ter die dar­un­ter­lie­gen­de, ver­mie­te­te Woh­nung selbst nut­zen – zunächst vor­über­ge­hend, dann dau­er­haft. Dafür kün­dig­te er der Mie­te­rin im Novem­ber 2021 wegen Eigen­be­darfs nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

    Die Mie­te­rin wider­sprach. Sie hielt die Kün­di­gung für unzu­läs­sig, da der Ver­mie­ter sei­ne bis­he­ri­ge Woh­nung nicht aus eige­nem Bedarf, son­dern aus wirt­schaft­li­chen Grün­den – näm­lich für den spä­te­ren Ver­kauf – räu­men wolle.

    Das Amts­ge­richt Char­lot­ten­burg folg­te zunächst der Argu­men­ta­ti­on des Ver­mie­ters und gab der Räu­mungs­kla­ge statt. Doch das Land­ge­richt Ber­lin hob die Ent­schei­dung auf.

    Die Begrün­dung: Der Ver­mie­ter wol­le sei­ne eige­ne Woh­nung ver­kau­fen, um Gewinn zu erzie­len. Das sei kei­ne Eigen­be­darfs­kün­di­gung, son­dern eine soge­nann­te Ver­wer­tungs­kün­di­gung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB – deren Vor­aus­set­zun­gen nicht vorlägen.

    Der Ver­mie­ter leg­te Revi­si­on beim Bun­des­ge­richts­hof ein – und bekam Recht.

    Hintergründe 

    Die Eigen­be­darfs­kün­di­gung gehört zu den häu­figs­ten Streit­punk­ten im deut­schen Miet­recht. Nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB darf ein Ver­mie­ter das Miet­ver­hält­nis nur kün­di­gen, wenn er ein berech­tig­tes Inter­es­se an der Been­di­gung hat.

    Ein sol­ches berech­tig­tes Inter­es­se liegt ins­be­son­de­re vor, wenn der Ver­mie­ter die Woh­nung für sich, Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge oder Ange­hö­ri­ge sei­nes Haus­halts benö­tigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

    Dabei ist ent­schei­dend, dass der Eigen­be­darf ernst­haft, ver­nünf­tig und nach­voll­zieh­bar ist – nicht, dass der Ver­mie­ter auf die Woh­nung zwin­gend ange­wie­sen wäre.

    In der Pra­xis wird die Abgren­zung zwi­schen Eigen­be­darfs­kün­di­gung und Ver­wer­tungs­kün­di­gung (nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) oft schwie­rig. Wäh­rend bei der Eigen­be­darfs­kün­di­gung per­sön­li­che Grün­de des Ver­mie­ters im Vor­der­grund ste­hen, geht es bei der Ver­wer­tungs­kün­di­gung um wirt­schaft­li­che Inter­es­sen, etwa den Ver­kauf einer Immobilie.

    Gerich­te müs­sen daher genau prü­fen, ob ein Ver­mie­ter tat­säch­lich selbst woh­nen will – oder ob die Eigen­be­darfs­kün­di­gung nur vor­ge­scho­ben ist, um die Woh­nung pro­fi­ta­bel zu verwerten.

    Worüber wurde bei der Eigenbedarfskündigung gestritten?

    Im Zen­trum des Streits stand die Fra­ge: Liegt hier wirk­lich Eigen­be­darf vor, oder han­delt es sich um eine ver­deck­te Ver­wer­tungs­kün­di­gung?

    Das Land­ge­richt Ber­lin war über­zeugt, dass der Ver­mie­ter die Woh­nung der Mie­te­rin nicht benö­tig­te. Schließ­lich besaß er bereits eine ähn­lich gro­ße Woh­nung im sel­ben Haus. Der geplan­te Umbau die­ne nur dem Zweck, die eige­ne Woh­nung nach dem Aus­bau des Dach­ge­schos­ses zu ver­kau­fen – also wirt­schaft­li­chen Interessen.

    Die Rich­ter kamen daher zu dem Schluss, dass es sich nicht um Eigen­be­darf, son­dern um eine Ver­wer­tungs­kün­di­gung handele.

    Das bedeu­te­te: Der Ver­mie­ter woll­te die Woh­nung nicht, um selbst dar­in zu woh­nen, son­dern um einen höhe­ren Ver­kaufs­preis für die ande­re Woh­nung zu erzie­len. Damit sei das Kün­di­gungs­recht aus § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht anwendbar.

    Der BGH sah das anders – und stell­te klar, dass ein geplan­ter Ver­kauf einer ande­ren Woh­nung den Eigen­be­darf nicht auto­ma­tisch ausschließt.

    Urteil des BGH zur Eigenbedarfskündigung

    Der Bun­des­ge­richts­hof hob das Urteil des Land­ge­richts auf und ver­wies den Fall zurück.

    Nach Ansicht des VIII. Zivil­se­nats hat­te das Beru­fungs­ge­richt den Begriff des „Benö­ti­gens“ im Sin­ne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu eng ausgelegt.

    Der BGH beton­te: Ein Ver­mie­ter benö­tigt eine Woh­nung bereits dann, wenn sein ernst­haf­ter Wunsch, sie selbst zu nut­zen, auf nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den beruht – selbst wenn er die bis­he­ri­ge Woh­nung frei­wil­lig auf­gibt oder umgestaltet.

    Es ist nicht erfor­der­lich, dass sich die Lebens­ver­hält­nis­se wesent­lich ändern oder dass der Ver­mie­ter zwin­gend auf die neue Woh­nung ange­wie­sen ist. Ent­schei­dend sei allein, dass der Nut­zungs­wunsch ernst­haft und nicht rechts­miss­bräuch­lich ist.

    Das Gericht stell­te fest, dass das Eigen­tums­grund­recht (Art. 14 GG) auch dem Ver­mie­ter Schutz bie­tet. Die­ser dür­fe grund­sätz­lich frei ent­schei­den, wie und wo er leben möch­te. Gerich­te dür­fen ihre eige­ne Vor­stel­lung von „ange­mes­se­nem Woh­nen“ nicht an die Stel­le der Lebens­pla­nung des Ver­mie­ters setzen.

    Das Land­ge­richt habe den Umbau- und Ver­kaufs­wunsch des Ver­mie­ters nicht hin­rei­chend gewür­digt und die tat­säch­li­chen Moti­ve außer Acht gelassen.

    Begründung des Urteils 

    In der Urteils­be­grün­dung stellt der BGH klar, dass eine Eigen­be­darfs­kün­di­gung nicht des­halb rechts­miss­bräuch­lich ist, weil der Ver­mie­ter sei­ne Wohn­si­tua­ti­on bewusst verändert.

    Der Senat führt aus: „Das Nut­zungs­in­ter­es­se des Ver­mie­ters ist auch dann zu respek­tie­ren, wenn er den Bedarfs­grund wil­lent­lich her­bei­führt oder selbst ver­ur­sacht hat.“

    Damit wider­spricht der BGH aus­drück­lich der Argu­men­ta­ti­on des Land­ge­richts, das eine „selbst­ge­schaf­fe­ne Bedarfs­la­ge“ als unzu­läs­sig ansah.

    Kernpunkte der BGH-Begründung:

    1. Eigen­be­darf kann auch selbst her­bei­ge­führt wer­den.
      Der Ver­mie­ter darf sein Wohn­kon­zept ändern, umbau­en oder umzie­hen, selbst wenn dies wirt­schaft­li­che Neben­ef­fek­te hat.

    2. Kei­ne Pflicht zur Bei­be­hal­tung bis­he­ri­ger Wohn­ver­hält­nis­se.
      Der Umstand, dass die neue Woh­nung ähn­lich groß oder gleich geschnit­ten ist, spielt kei­ne Rolle.

    3. Abgren­zung zur Ver­wer­tungs­kün­di­gung.
      Eine Ver­wer­tungs­kün­di­gung liegt nur vor, wenn der Ver­mie­ter die ver­mie­te­te Woh­nung selbst ver­kau­fen will und sich durch das Miet­ver­hält­nis an einer ange­mes­se­nen wirt­schaft­li­chen Ver­wer­tung gehin­dert sieht.

      Im vor­lie­gen­den Fall woll­te der Ver­mie­ter nicht die ver­mie­te­te, son­dern die eige­ne Woh­nung ver­äu­ßern. Damit greift § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht.

    4. Rechts­miss­brauch nur bei Schein­be­darf.
      Nur wenn sich der Eigen­be­darf als vor­ge­scho­ben erweist oder die geplan­te Nut­zung objek­tiv nicht rea­li­sier­bar ist, kann die Kün­di­gung unzu­läs­sig sein.

    Mit die­ser Ent­schei­dung zieht der BGH eine kla­re Linie: Der Eigen­be­darf hängt nicht von der öko­no­mi­schen Moti­va­ti­on, son­dern von der tat­säch­li­chen Nut­zungs­ab­sicht ab.

    Bedeutung für die Zukunft

    Das Urteil des BGH (VIII ZR 289/23) hat gro­ße Bedeu­tung für Ver­mie­ter, Mie­ter und die Rechts­pra­xis. Es erwei­tert den Hand­lungs­spiel­raum von Eigen­tü­mern und kon­kre­ti­siert die Anfor­de­run­gen an eine Eigenbedarfskündigung.

    1. Stärkung der Vermieterrechte

    Ver­mie­ter dür­fen künf­tig fle­xi­bler über ihre Wohn­si­tua­ti­on ent­schei­den. Selbst wenn der Eigen­be­darf im Zusam­men­hang mit Umbau­ten oder geplan­ten Ver­käu­fen steht, bleibt die Kün­di­gung mög­lich – solan­ge die Selbst­nut­zung ernst­haft beab­sich­tigt ist.

    Das ist beson­ders rele­vant für Eigen­tü­mer, die meh­re­re Woh­nun­gen im sel­ben Haus besit­zen oder bau­li­che Ver­än­de­run­gen planen.

    2. Präzisierung der Abgrenzung

    Gerich­te müs­sen genau­er prü­fen, ob es um eine ech­te Selbst­nut­zung oder eine rei­ne Ver­wer­tung geht. Das Urteil ver­deut­licht: Der Wunsch, die eige­ne Lebens­si­tua­ti­on zu ver­än­dern, genügt.

    Eine Ver­wer­tungs­kün­di­gung liegt nur dann vor, wenn die ver­mie­te­te Woh­nung selbst ver­kauft wer­den soll und das Miet­ver­hält­nis einer wirt­schaft­li­chen Nut­zung entgegensteht.

    3. Keine Pflicht zur Vernunftprüfung

    Der BGH wie­der­holt sei­ne stän­di­ge Recht­spre­chung: Es ist nicht Auf­ga­be der Gerich­te, über die Ver­nünf­tig­keit der Lebens­pla­nung eines Ver­mie­ters zu urteilen.

    Ob jemand eine gleich gro­ße Woh­nung gegen eine ande­re tauscht, weil er sie schö­ner, güns­ti­ger oder prak­ti­scher fin­det, ist allein sei­ne Sache.

    4. Praktische Konsequenzen für Mieter

    Für Mie­ter bedeu­tet das Urteil, dass Eigen­be­darfs­kün­di­gun­gen künf­tig schwe­rer abzu­weh­ren sind. Der blo­ße Hin­weis, der Ver­mie­ter habe bereits eine geeig­ne­te Woh­nung, reicht nicht aus.

    Mie­ter müs­sen genau­er prü­fen las­sen, ob tat­säch­lich Anhalts­punk­te für einen Schein­be­darf oder Rechts­miss­brauch bestehen.

    5. Bedeutung für die Immobilienpraxis

    Das Urteil wird Aus­wir­kun­gen auf die Pra­xis haben:

    • Haus­ver­wal­tun­gen müs­sen Kün­di­gun­gen sorg­fäl­ti­ger doku­men­tie­ren und die Nut­zungs­ab­sicht plau­si­bel belegen.

    • Ver­mie­ter soll­ten schrift­lich erläu­tern, war­um sie die Woh­nung benö­ti­gen – etwa durch geplan­te Umbau­ten oder ver­än­der­te Lebensumstände.

    • Gerich­te müs­sen künf­tig den sub­jek­ti­ven Nut­zungs­wunsch stär­ker berück­sich­ti­gen und dür­fen wirt­schaft­li­che Moti­ve nicht auto­ma­tisch ausschließen.

    Damit stärkt der BGH die Gestal­tungs­frei­heit von Eigen­tü­mern – ohne den Mie­ter­schutz grund­sätz­lich aufzuweichen.

    Fazit

    Die Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs setzt ein wich­ti­ges Signal: Eine Eigen­be­darfs­kün­di­gung bleibt auch dann zuläs­sig, wenn sie mit einem Woh­nungs­ver­kauf oder Umbau ver­bun­den ist.

    Solan­ge der Ver­mie­ter ernst­haft die Absicht hat, die Woh­nung selbst zu nut­zen, spielt es kei­ne Rol­le, ob er gleich­zei­tig wirt­schaft­li­che Zie­le verfolgt.

    Das Urteil schafft mehr Klar­heit in einem umkämpf­ten Rechts­ge­biet und betont die ver­fas­sungs­recht­lich garan­tier­te Eigentumsfreiheit.

    Für Mie­ter bedeu­tet es jedoch, dass der Ein­wand „wirt­schaft­li­ches Inter­es­se“ künf­tig nicht mehr genügt, um eine Eigen­be­darfs­kün­di­gung abzu­weh­ren. Nur wenn der Nut­zungs­wunsch nach­weis­lich vor­ge­scho­ben ist, bleibt die Kün­di­gung unwirksam.

     

    (BGH-Urteil v. 24. 9. 2025, Az. VIII ZR 289/23)