• Bauliche Veränderung und Zweckbestimmung im WEG-Recht

    Bauliche Veränderung und Zweckbestimmung: Ein Urteil mit Signalwirkung

    Bau­li­che Ver­än­de­rung und Zweck­be­stim­mung ste­hen häu­fig im Zen­trum von Kon­flik­ten in Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaf­ten. Beson­ders kri­tisch wird es, wenn Eigen­tü­mer Räu­me bau­lich ver­än­dern, die nach der Tei­lungs­er­klä­rung eine kla­re Zweck­be­stim­mung haben – etwa als Kel­ler. Das neue Urteil des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH) vom 10. Okto­ber 2025 (Az. V ZR 192/24) setzt hier­für wich­ti­ge Leitplanken.

    Der Fall zeigt exem­pla­risch, wie unter­schied­lich Eigen­tü­mer, Ver­wal­ter und Gerich­te die­sel­be Situa­ti­on bewer­ten kön­nen. Er zeigt auch, dass die seit 2020 gel­ten­de Reform des Woh­nungs­ei­gen­tums­rechts neue Maß­stä­be setzt – mit erheb­li­chen Fol­gen für Beschluss­fas­sun­gen, Anfech­tungs­kla­gen und die Bewer­tung bau­li­cher Ver­än­de­run­gen in Räu­men mit Zweckbestimmung.

    Im Fol­gen­den beleuch­ten wir die Ent­schei­dung detail­liert und zei­gen, was sie für die Pra­xis bedeutet.

    Was ist passiert? Bauliche Veränderung und Zweckbestimmung im konkreten Fall

    Der Klä­ger und meh­re­re Streit­hel­fer gehö­ren zu einer klei­nen Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft (WEG) mit ins­ge­samt drei Ein­hei­ten. Die Tei­lungs­er­klä­rung weist bestimm­ten Ein­hei­ten Son­der­nut­zungs­rech­te an Kel­ler­räu­men zu. Die­se Kel­ler­räu­me sind in der Gemein­schafts­ord­nung aus­drück­lich als „Kel­ler“ bezeich­net – also ein­deu­tig zweck­be­stimm­te Nebenräume.

    Im Jahr 2022 nah­men Eigen­tü­mer mit Son­der­nut­zungs­rech­ten ver­schie­de­ne bau­li­che Ver­än­de­run­gen in den zuge­wie­se­nen Kel­ler­räu­men vor. Unter ande­rem wurden:

    • Toi­let­ten installiert,

    • Duschen ein­ge­baut,

    • Warm- und Kalt­was­ser­an­schlüs­se gelegt,

    • TV-Kabel instal­liert,

    • zusätz­li­che Heiz­kör­per montiert.

    Die Eigen­tü­mer­ver­samm­lung geneh­mig­te die­se Umbau­ten nach­träg­lich.

    Ein Eigen­tü­mer focht die Beschlüs­se an. Er argu­men­tier­te, die Umbau­ten ermög­lich­ten die Nut­zung der Kel­ler als Wohn­räu­me. Das wider­spre­che der Ver­ein­ba­rung und der Zweckbestimmung.

    Das Amts­ge­richt Mün­chen wies die Kla­ge ab.
    Das Land­ge­richt Mün­chen I hob die Beschlüs­se hin­ge­gen auf.
    Der Fall lan­de­te beim BGH – mit einem über­ra­schend kla­ren Ergebnis.

    Hintergründe: Bauliche Veränderung und Zweckbestimmung im WEG-Recht

    Bau­li­che Ver­än­de­rung und Zweck­be­stim­mung kol­li­die­ren im WEG-Recht häu­fig. Das liegt dar­an, dass:

    • vie­le Tei­lungs­er­klä­run­gen älte­re For­mu­lie­run­gen enthalten,

    • Kel­ler, Hob­by­räu­me oder Spitz­bö­den kla­re Zweck­bin­dun­gen haben,

    • Eigen­tü­mer sol­che Räu­me aber gern aufwerten,

    • die Gren­ze zwi­schen zuläs­si­ger Umge­stal­tung und unzu­läs­si­ger Nut­zungs­än­de­rung oft schwer zu zie­hen ist.

    Rechtsgrundlagen

    § 20 WEG ermög­licht es Woh­nungs­ei­gen­tü­mern, bau­li­che Ver­än­de­run­gen mit ein­fa­cher Mehr­heit zu beschließen.

    § 19 Abs. 1 WEG ver­pflich­tet zur Ein­hal­tung von Ver­ein­ba­run­gen in der Gemein­schafts­ord­nung, etwa zur Zweck­be­stim­mung von Räumen.

    § 10 Abs. 1 WEG ver­leiht sol­chen Ver­ein­ba­run­gen bin­den­den Charakter.

    Damit ent­steht ein Spannungsverhältnis:

    Darf eine bau­li­che Ver­än­de­rung geneh­migt wer­den, wenn sie eine Nut­zung ermög­licht, die der Zweck­be­stim­mung widerspricht?

    Genau die­se Fra­ge beant­wor­tet der BGH in die­sem Urteil.

    Worüber wurde gestritten? Bauliche Veränderung und Zweckbestimmung als Konfliktlinie

    Das Land­ge­richt Mün­chen I meinte:

    • Die Zweck­be­stim­mung „Kel­ler“ beschränkt die Nut­zung auf Abstell- und Lagernutzung.

    • Der Ein­bau von WC, Dusche, Hei­zung und TV-Kabel ermög­li­che eine Wohnnutzung.

    • Jede bau­li­che Ver­än­de­rung, die eine zweck­wid­ri­ge Nut­zung ermög­licht, ver­let­ze die Vereinbarung.

    • Ein ent­spre­chen­der Beschluss sei immer anfecht­bar.

    Das bedeu­tet nach die­ser Logik: Schon das Mög­lich­ma­chen einer unzu­läs­si­gen Nut­zung macht den Beschluss rechtswidrig.

    Der BGH wider­spricht dem – und zwar grundlegend.

    Urteil des Gerichts: Bauliche Veränderung und Zweckbestimmung richtig einordnen

    Der BGH hebt das Urteil des Land­ge­richts auf. Die Beschlüs­se sind gül­tig.

    Die wich­tigs­ten Aussagen:

    1. Auch nach neuer Rechtslage gilt: Beschlüsse sind am § 20 WEG zu messen.

    Es kommt auf das Recht zum Zeit­punkt des Beschlus­ses an, nicht auf den Zeit­punkt der bau­li­chen Maßnahme.

    2. Die genehmigten Maßnahmen sind bauliche Veränderungen – aber zulässige.

    3. Eine bauliche Veränderung ist nicht deshalb anfechtbar, weil sie eine zweckwidrige Nutzung ermöglicht.

    Dies ist der zen­tra­le Punkt des Urteils. Der BGH for­mu­liert klar:

    Wird eine bau­li­che Ver­än­de­rung gestat­tet, die die Mög­lich­keit eröff­net, Räu­me ent­ge­gen der Zweck­be­stim­mung zu nut­zen, macht das den Beschluss nicht anfecht­bar, sofern die zweck­ge­mä­ße Nut­zung wei­ter mög­lich ist.
    — BGH V ZR 192/24

    Das ist ein eigen­stän­di­ger Rechts­satz und eine wich­ti­ge Weichenstellung.

    4. Die Zweckbestimmung „Keller“ bleibt gültig – aber die bauliche Veränderung beeinträchtigt sie nicht zwingend.

    Die Aus­stat­tung mit:

    • Dusche,

    • WC,

    • TV-Kabel,

    • Hei­zung

    führt nicht zwin­gend zur Nut­zung als Wohnraum.

    5. Ob später tatsächlich zweckwidrig gewohnt wird, ist eine andere Frage.

    Das ist dann ein Fall für Unter­las­sungs­an­sprü­che nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG.

    6. Das Berufungsgericht hat die falschen Maßstäbe angewendet.

    Ins­be­son­de­re hat es die bau­li­chen Maß­nah­men „vor­sorg­lich“ ver­bo­ten, obwohl die Nut­zung noch nicht bestimmt war.

    Begründung des Urteils: Bauliche Veränderung und Zweckbestimmung differenziert betrachten

    Der BGH begrün­det sei­ne Ent­schei­dung kon­se­quent und praxisorientiert.

    1. Bauliche Veränderung ≠ Nutzungsänderung

    Wesent­li­che Aussage:

    Die bau­li­che Maß­nah­me und die spä­te­re Nut­zung sind strikt zu trennen.

    Ein bau­lich ver­än­der­ter Kel­ler bleibt funk­tio­nal ein Kel­ler, solange:

    • er wei­ter­hin als Abstell­raum nutz­bar ist,

    • kei­ne zwin­gen­de Wohn­nut­zung vorliegt.

    Die Aus­stat­tung deu­tet ledig­lich auf eine Opti­on, nicht auf eine zwin­gen­de Zweckentfremdung.

    2. Zweckbestimmung „Keller“ ist eng auszulegen

    Ein Kel­ler dient:

    • Lager­zwe­cken,

    • als Abstell­flä­che,

    • ggf. als Hobbyraum.

    Eine Wohn­nut­zung ist unzu­läs­sig – aber eine sol­che Nut­zung wird nicht allein durch Sani­tär­ein­rich­tun­gen erzwungen.

    3. Einbau von Dusche und WC führt nicht automatisch zur Umwandlung in Wohnraum

    Die Rich­ter brin­gen pra­xis­na­he Beispiele:

    • Ein Fit­ness­raum darf eine Dusche haben.

    • Ein Hob­by­raum darf beheizt werden.

    • Fern­se­hen im Kel­ler ist zuläs­sig, solan­ge die Nut­zung nicht stört.

    4. Baurechtliche oder brandschutzrechtliche Verstöße waren nicht Gegenstand der Klage

    Der BGH stellt klar:
    Der Klä­ger hät­te Ver­stö­ße gegen Bau­vor­schrif­ten anfech­ten müs­sen.
    Dies hat er nicht getan.

    5. Unterlassungsansprüche bleiben möglich

    Soll­te der Kel­ler als Wohn­raum genutzt wer­den, kann die Gemein­schaft dage­gen vorgehen.

    6. Die Reform des WEG im Jahr 2020 verlangt pragmatische Auslegung

    Der BGH ver­weist auf die Inten­ti­on des Gesetzgebers:

    • Ver­ein­fa­chung,

    • weni­ger Streit über bau­li­che Maßnahmen,

    • mehr Gestal­tungs­frei­heit für Eigentümer.

    Das Urteil folgt die­sem Reformgedanken.

    Bedeutung für die Zukunft: Bauliche Veränderung und Zweckbestimmung neu bewertet

    Die­ses Urteil hat erheb­li­che Bedeu­tung für die Praxis:

    1. WEGs müssen differenzieren zwischen Bau und Nutzung

    Die wich­tigs­te Leitlinie:

    • Bau­li­che Ver­än­de­rung? → nach § 20 WEG prüfen

    • Nut­zungs­än­de­rung? → geson­dert betrachten

    • Zweck­wid­ri­ge Nut­zung? → über Unter­las­sungs­an­sprü­che bekämpfen

    2. Keller, Hobbyräume, Spitzböden – mehr Freiheit für Eigentümer

    Der Ein­bau von:

    • Was­ser­lei­tun­gen,

    • Heiz­kör­pern,

    • Duschen,

    • Toi­let­ten

    ist nicht per se rechts­wid­rig.

    3. Verwalter und Beiräte haben mehr Handlungsspielraum

    Sie müs­sen künf­tig beachten:

    • Geneh­mi­gun­gen dür­fen nicht allein wegen „Mög­lich­keit“ einer Wohn­nut­zung abge­lehnt werden.

    • Es kommt auf die objek­ti­ve Zweck­bin­dung an, nicht auf sub­jek­ti­ve Befürchtungen.

    4. Anfechtungsklagen haben schlechtere Erfolgsaussichten

    Wer eine Geneh­mi­gung ver­hin­dern will, muss kon­kret vorbringen:

    • bau­recht­li­che Verstöße,

    • tech­ni­sche Mängel,

    • Gefah­ren für das Gemeinschaftseigentum,

    • kon­kre­te Störungen.

    Die Vor­la­ge „Kann zum Woh­nen genutzt wer­den“ reicht nicht mehr.

    5. Eigentümer mit Sondernutzungsrechten profitieren

    Sie erhal­ten grö­ße­re Gestaltungsfreiheit.

    6. Baubehörden bleiben zuständig für Wohnraumnutzung

    Eine bau­recht­lich unzu­läs­si­ge Wohn­nut­zung ist kein WEG-Problem.

    7. Rechtssicherheit steigt

    Die Ent­schei­dung besei­tigt eine lang dis­ku­tier­te Unsi­cher­heit: Ob die blo­ße Mög­lich­keit der Zweck­ent­frem­dung eine bau­li­che Ver­än­de­rung unzu­läs­sig macht.

    Der BGH sagt klar: Nein.

    Fazit

    Das Urteil des Bun­des­ge­richts­hofs vom 10. Okto­ber 2025 (V ZR 192/24) stärkt die Gestal­tungs­frei­heit der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer bei bau­li­chen Ver­än­de­run­gen. Die Ent­schei­dung trennt klar zwi­schen der bau­li­chen Maß­nah­me und der tat­säch­li­chen Nut­zung. Eine bau­li­che Ver­än­de­rung bleibt zuläs­sig, solan­ge die ver­ein­bar­te Zweck­be­stim­mung – hier der Kel­ler als Neben­raum – wei­ter­hin erfüllt wer­den kann.

    Die Ent­schei­dung ist ein Mei­len­stein für das moder­ne WEG-Recht. Sie schafft Klar­heit, Rechts­si­cher­heit und prak­ti­sche Ori­en­tie­rung für Eigen­tü­mer, Ver­wal­ter und Juris­ten. Gleich­zei­tig zeigt sie, wie wich­tig es ist, Anfech­tungs­kla­gen prä­zi­se zu begrün­den und nicht auf blo­ße Mög­lich­kei­ten abzustellen.

    (BGH-Urteil v. 10.10.2025, Az. V ZR 192/24)