Der Streit um einen Fernwärmevertrag kann schnell zum Eigentumskonflikt werden – besonders dann, wenn alte Versorgungsanlagen auf einem fremden Grundstück liegen. Im aktuellen Urteil BGH V ZR 162/24 stellt der Bundesgerichtshof klar: Nicht jede Vereinbarung über Fernwärmeversorgung stellt einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter dar. Gleichzeitig präzisiert das Gericht, wann Eigentümer Leitungsanlagen dulden müssen – und wann sie deren Beseitigung verlangen können.
Was ist beim Fernwärmevertrag und Eigentumsrecht passiert?
Der Fall begann mit einem bereits 1994 geschlossenen Kaufvertrag. Eine Energiegesellschaft veräußerte ihren Geschäftsbereich „Fernwärmeversorgung“ an ein anderes Unternehmen – einschließlich Grundstücken, Leitungen und technischer Infrastruktur.
In § 21 Abs. 2 des Kaufvertrags verpflichtete sich die Verkäuferin, künftige Mieter zu binden: Sie sollten ihre Wärme ausschließlich von der Käuferin beziehen. Damit wollte man sicherstellen, dass alle späteren Nutzer des Geländes an das Fernwärmenetz angeschlossen bleiben.
Die Beklagte – als Rechtsnachfolgerin der Käuferin – betreibt heute auf dem Gelände eines Industrieparks ein Fernwärmenetz. Dieses Netz versorgt verschiedene Gebäude über ein Ringsystem, von dem mehrere Heizwasserleitungen zu den einzelnen Abnahmestellen führen. Zwei Übergabestationen befinden sich auf dem Grundstück der Klägerin, einer späteren Eigentümerin eines Teilgrundstücks mit Fabrik- und Verwaltungsgebäuden.
Bis 2014 belieferte die Beklagte das Grundstück der Klägerin regelmäßig mit Wärme. Danach wurde die Versorgung eingestellt. Die alten Leitungen und Wärmetauscher blieben jedoch in den Gebäuden der Klägerin eingebaut.
Die neue Eigentümerin – also die Klägerin – störte sich daran. Sie verlangte die Beseitigung sämtlicher Anlagenteile, die zum Fernwärmesystem gehörten, insbesondere der innenliegenden Leitungen und Wärmetauscher hinter dem ersten Absperrventil. Sie argumentierte, die fremden Leitungen beeinträchtigten ihr Eigentum.
Das Landgericht Magdeburg wies die Klage zunächst ab. Das Oberlandesgericht Naumburg gab der Klägerin jedoch recht und verurteilte die Fernwärmebetreiberin zur Entfernung der Anlagen. Dagegen wandte sich die Beklagte mit der Revision zum Bundesgerichtshof – mit Erfolg.
Hintergründe zum Fernwärmevertrag und Eigentumsrecht
Im Zentrum des Rechtsstreits steht die Abgrenzung zwischen dem Eigentumsrecht (§ 903 BGB) und möglichen Duldungspflichten nach Vertrag oder Dienstbarkeit.
Nach § 903 BGB kann der Eigentümer grundsätzlich andere von der Nutzung seines Grundstücks ausschließen. Werden auf einem Grundstück fremde Gegenstände oder Anlagen eingebaut, kann der Eigentümer deren Beseitigung nach § 1004 BGB verlangen – es sei denn, er muss sie dulden (§ 1004 Abs. 2 BGB).
In der Praxis kommt es dabei häufig zu Konflikten zwischen Leitungsbetreibern und Grundstückseigentümern. Leitungsrechte können sich aus:
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einer Grunddienstbarkeit (z. B. für Energie- oder Versorgungsleitungen),
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einem vertraglichen Nutzungsrecht, oder
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einer gesetzlichen Duldungspflicht ergeben.
In diesem Fall beruhte das Leitungsrecht ursprünglich auf dem Kaufvertrag von 1994. Entscheidend war, ob die Klägerin – als spätere Eigentümerin – an die alte Vereinbarung gebunden war und die Leitungen dulden musste.
Das OLG Naumburg meinte, nein. Es sah in § 21 Abs. 2 des alten Vertrags einen unwirksamen Vertrag zulasten Dritter, weil dort eine Verpflichtung formuliert war, die auch zukünftige Mieter und Eigentümer betreffen sollte, ohne dass diese daran beteiligt waren. Damit bestehe keine Duldungspflicht – und die Anlagen müssten entfernt werden.
Der BGH widersprach.
Worüber wurde gestritten?
Im Kern ging es um die Frage: Kann eine Vereinbarung im Kaufvertrag zwischen früheren Eigentümern künftige Grundstückseigentümer binden – oder ist das ein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter?
Die Klägerin argumentierte, sie habe dem Einbau der Fernwärmeanlagen nie zugestimmt. Die Leitungen und Übergabestationen seien fremdes Eigentum auf ihrem Grundstück und stellten daher eine unzulässige Eigentumsbeeinträchtigung dar.
Die Beklagte hielt dagegen: Die Vereinbarung aus dem Jahr 1994 begründe eine vertragliche Duldungspflicht, weil die damalige Verkäuferin sich verpflichtet hatte, diese Bedingungen an alle künftigen Nutzer weiterzugeben. Damit sei die Klägerin indirekt gebunden.
Das OLG folgte der Klägerin und sprach ihr einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB zu. Die Richter sahen keine wirksame Grundlage für eine Duldungspflicht. Sie argumentierten, § 21 Abs. 2 des Vertrags sei ein Vertrag zulasten Dritter – also unwirksam, weil er Pflichten für Personen begründet, die am Vertrag gar nicht beteiligt waren.
Der Bundesgerichtshof sah das anders und hob das Urteil auf.
Urteil des BGH
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschied am 18. September 2025 (Az. V ZR 162/24): Das Berufungsurteil des OLG Naumburg wird aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung zurückverwiesen.
Damit steht fest: Der bloße Hinweis auf einen angeblichen Vertrag zulasten Dritter reicht nicht aus, um eine Duldungspflicht zu verneinen.
Zentrale Feststellungen des BGH:
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Eigentumsbeeinträchtigung liegt vor.
Die eingebauten Fernwärmeeinrichtungen stellen „Scheinbestandteile“ im Sinne von § 95 BGB dar. Sie gehören also nicht zum Grundstück der Klägerin, sondern bleiben Eigentum der Beklagten. Damit liegt eine fortdauernde Eigentumsbeeinträchtigung vor, die grundsätzlich einen Beseitigungsanspruch begründen kann. -
Duldungspflicht nicht ausgeschlossen.
Eine solche Beeinträchtigung kann aber zulässig sein, wenn eine Duldungspflicht besteht – etwa aufgrund eines Vertrags oder einer Dienstbarkeit. -
Kein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter.
Der BGH stellte klar: Die Klausel in § 21 Abs. 2 des Kaufvertrags von 1994 ist kein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter.
Denn sie verpflichtet nicht unmittelbar die späteren Mieter oder Eigentümer, sondern nur die damalige Verkäuferin, die entsprechende Pflicht in ihre künftigen Mietverträge aufzunehmen. Damit wird niemand außerhalb des ursprünglichen Vertrags unmittelbar belastet. -
Vertragliche Verpflichtung bleibt grundsätzlich wirksam.
Die Verkäuferin hat sich zulässig verpflichtet, „die Leistung eines Dritten zu versprechen“, ohne dessen Rechte oder Pflichten unmittelbar zu verändern. Damit kann aus der Vereinbarung durchaus eine Duldungspflicht abgeleitet werden – allerdings nur, wenn sie auch inhaltlich fortwirkt. -
Weitere Prüfung durch das OLG erforderlich.
Der BGH konnte nicht abschließend entscheiden, ob tatsächlich eine Duldungspflicht besteht. Das OLG muss nun prüfen,-
ob die Beklagte sich noch auf den alten Vertrag berufen kann,
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ob der Vertrag durch spätere Vereinbarungen (etwa einen Vergleich von 2008) aufgehoben wurde,
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und ob die bestehende Grunddienstbarkeit das Recht umfasst, die Anlagen auch hinter dem ersten Absperrventil zu betreiben.
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Begründung des Urteils zum Fernwärmevertrag und Eigentumsrecht
Der Bundesgerichtshof begründete seine Entscheidung detailliert mit den Grundsätzen des Vertragsrechts und der Eigentumsgarantie.
1. Zum Vertrag zulasten Dritter
Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter nur dann vor, wenn eine Person ohne eigene Zustimmung unmittelbar verpflichtet werden soll.
Das war hier nicht der Fall. Die alte Vertragsklausel zielte nicht auf eine direkte Verpflichtung künftiger Mieter oder Eigentümer, sondern auf eine interne Vereinbarung zwischen Verkäuferin und Käuferin. Die Verkäuferin verpflichtete sich lediglich, entsprechende Regelungen in ihre Mietverträge aufzunehmen – sie versprach also, „die Leistung eines Dritten“ zu ermöglichen.
Damit sei die Vereinbarung zulässig und kein Verstoß gegen das Verbot, Verträge zulasten Dritter zu schließen.
2. Zum Eigentumsrecht und § 1004 BGB
Der BGH bestätigte, dass die Klägerin grundsätzlich einen Anspruch auf Entfernung fremder Gegenstände von ihrem Grundstück haben kann. Diese sogenannten „Scheinbestandteile“ – also Anlagen, die nur vorübergehend mit dem Gebäude verbunden sind – stehen weiterhin im Eigentum des Anlagenbetreibers.
Allerdings kann der Anspruch ausgeschlossen sein, wenn eine vertragliche oder dingliche Duldungspflicht besteht.
3. Zur Grunddienstbarkeit
Eine weitere Rolle spielte eine im Grundbuch eingetragene Grunddienstbarkeit zugunsten des Grundstücks der Beklagten. Sie sichert das Recht, Leitungen und Energieanlagen zu betreiben.
Ob diese Dienstbarkeit auch die Leitungen hinter dem ersten Absperrventil in den Gebäuden umfasst, war unklar. Das OLG hatte diese Frage offengelassen – das muss nun nachgeholt werden.
Bedeutung für die Zukunft
Das Urteil hat weitreichende Bedeutung – nicht nur für Energieversorger und Grundstückseigentümer, sondern auch für die Immobilienwirtschaft insgesamt.
1. Rechtssicherheit für Versorgungsverträge
Der BGH stärkt die Rechtssicherheit bei langfristigen Versorgungsverträgen. Alte Vereinbarungen über Wärme- oder Energieversorgung behalten grundsätzlich ihre Wirksamkeit, wenn sie keine unmittelbaren Pflichten für Dritte schaffen.
Damit können Energieunternehmen auf eine stabile Rechtsgrundlage bauen – insbesondere dort, wo Infrastruktur auf Privatgrundstücken liegt.
2. Präzisierung des Vertragsbegriffs
Das Urteil schärft den Begriff des „Vertrags zulasten Dritter“.
Künftig ist klar: Eine Verpflichtung, künftige Mieter oder Eigentümer zu bestimmten Handlungen zu veranlassen, ist nicht automatisch unzulässig – solange sie nur eine Pflicht zwischen den ursprünglichen Vertragspartnern begründet.
3. Bedeutung für Eigentümer
Für Eigentümer bedeutet das Urteil, dass sie Leitungen auf ihrem Grundstück nicht ohne weiteres entfernen lassen können. Entscheidend ist, ob eine Duldungspflicht – etwa durch Vertrag oder Grunddienstbarkeit – besteht.
Wer ein Grundstück erwirbt, auf dem Versorgungsanlagen liegen, sollte daher unbedingt Einsicht in das Grundbuch und in alte Verträge nehmen.
4. Konsequenzen für Fernwärmebetreiber
Betreiber von Fernwärmenetzen können sich auf das Urteil berufen, wenn sie Anlagen auf fremden Grundstücken betreiben. Sie müssen jedoch nachweisen können, dass eine rechtliche Grundlage besteht – sei es ein Vertrag, eine Dienstbarkeit oder eine Vereinbarung mit früheren Eigentümern.
5. Bedeutung für die Praxis
In der Praxis sollten Hausverwalter, Juristen und Eigentümer künftig besonders auf folgende Punkte achten:
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Klare Vertragsgestaltung: Vereinbarungen über Energieversorgung müssen eindeutig formuliert werden.
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Transparenz bei Eigentümerwechseln: Alte Verträge und Dienstbarkeiten sollten frühzeitig geprüft werden.
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Abgrenzung der Leitungsrechte: Besonders wichtig ist die Frage, welche Bereiche der technischen Anlage von einem Leitungsrecht erfasst werden – etwa auch Anlagenteile hinter Absperrventilen.
Fazit
Das Urteil des Bundesgerichtshofs schafft Klarheit im Spannungsfeld zwischen Eigentumsrecht und Versorgungsverträgen. Eine Vereinbarung wie im vorliegenden Fernwärmevertrag ist kein Vertrag zulasten Dritter, solange sie nur Pflichten zwischen den ursprünglichen Parteien begründet.
Gleichzeitig bestätigt der BGH den Grundsatz: Eigentümer dürfen fremde Leitungen grundsätzlich entfernen lassen – es sei denn, sie sind vertraglich oder dinglich zur Duldung verpflichtet.
Für die Praxis bedeutet das: Alte Verträge bleiben relevant, aber sie müssen sorgfältig ausgelegt und geprüft werden. Wer Grundstücke mit bestehenden Energieanlagen erwirbt, sollte die rechtliche Situation genau kennen, bevor er Ansprüche geltend macht.
