• BGH-Urteil: Keine Pflicht zu Alternativangeboten

    Kei­ne Pflicht zu Alter­na­tiv­an­ge­bo­ten? Ein neu­es BGH-Urteil sorgt für Klar­heit im Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Es beant­wor­tet eine seit Jah­ren umstrit­te­ne Fra­ge: Müs­sen Woh­nungs­ei­gen­tü­mer vor der Beauf­tra­gung eines Rechts­an­walts oder Gut­ach­ters meh­re­re Ange­bo­te ein­ho­len, um ord­nungs­mä­ßi­ge Ver­wal­tung sicher­zu­stel­len? Der Bun­des­ge­richts­hof sagt nun deut­lich: Nein – jeden­falls nicht bei Rechts­an­wäl­ten. Die Ent­schei­dung stärkt die Hand­lungs­si­cher­heit von Ver­wal­tern und Eigen­tü­mer­ge­mein­schaf­ten und bringt zugleich ein Stück Prag­ma­tis­mus in die täg­li­che Verwaltungspraxis.

    Was ist passiert?

    Im Zen­trum des BGH-Urteils V ZR 76/24 steht eine Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft, deren Ver­wal­te­rin im Jahr 2021 im Namen der Gemein­schaft meh­re­re Sach­ver­stän­di­ge und eine Rechts­an­walts­kanz­lei beauf­trag­te. Hin­ter­grund war die dro­hen­de Ver­jäh­rung mög­li­cher Ansprü­che gegen die Bau­trä­ge­rin – die zugleich eine Woh­nungs­ei­gen­tü­me­rin der Gemein­schaft war.

    Man­gels Eigen­tü­mer­ver­samm­lung im Jahr 2020 hat­te es kei­nen vor­he­ri­gen Beschluss gege­ben. Die Ver­wal­te­rin han­del­te daher ohne Ermäch­ti­gung, um die Ver­jäh­rung von Män­gel­an­sprü­chen zu ver­hin­dern. Spä­ter geneh­mig­ten die Eigen­tü­mer in einer Ver­samm­lung die Auf­trä­ge und beschlos­sen zudem, die Rechts­an­walts­kanz­lei offi­zi­ell mit der Durch­set­zung der Ansprü­che gegen die Bau­trä­ge­rin zu beauf­tra­gen. Dabei soll­te eine Hono­rar­ver­ein­ba­rung über 300 Euro pro Anwalts­stun­de und 150 Euro pro Sekre­ta­ri­ats­stun­de geschlos­sen werden.

    Eine der Eigen­tü­me­rin­nen – eben jene Bau­trä­ge­rin – focht die Beschlüs­se an. Sie sah in der Vor­ge­hens­wei­se der Ver­wal­te­rin einen Ver­stoß gegen ord­nungs­mä­ßi­ge Ver­wal­tung. Ihrer Ansicht nach hät­ten vor der Beauf­tra­gung Alter­na­tiv­an­ge­bo­te ande­rer Kanz­lei­en ein­ge­holt wer­den müs­sen. Außer­dem sei die nach­träg­li­che Geneh­mi­gung der Ver­walt­er­ent­schei­dun­gen unzulässig.

    Die Hintergründe 

    Das BGH-Urteil V ZR 76/24 steht im Kon­text eines häu­fi­gen Pro­blems in der WEG-Pra­xis: Wie weit reicht die Ent­schei­dungs­be­fug­nis des Ver­wal­ters, wenn schnel­les Han­deln nötig ist – etwa bei dro­hen­der Ver­jäh­rung, Schä­den oder Hand­lungs­be­darf am Gemeinschaftseigentum?

    Seit der WEG-Reform 2020 (§ 9b WEG) ist der Ver­wal­ter im Außen­ver­hält­nis umfas­send ver­tre­tungs­be­fugt. Er kann also für die Gemein­schaft han­deln und Ver­trä­ge schlie­ßen, ohne dass die­se zunächst von der Eigen­tü­mer­ver­samm­lung geneh­migt wer­den müs­sen. Gleich­wohl kann sein Han­deln im Innen­ver­hält­nis beschränkt sein – die Gemein­schaft kann ihm Gren­zen set­zen und sei­ne Maß­nah­men nach­träg­lich geneh­mi­gen oder beanstanden.

    Die Pra­xis stand bis­lang vor einem Dilem­ma:
    Wenn Ver­wal­ter schnell han­deln, ris­kie­ren sie, dass Eigen­tü­mer das Vor­ge­hen spä­ter rügen. Wenn sie abwar­ten, ris­kie­ren sie Frist­ver­säum­nis­se oder Schä­den. Das Urteil des BGH bringt hier nun drin­gend benö­tig­te Rechtssicherheit.

    Worüber wurde gestritten?

    Der Streit dreh­te sich im Kern um drei Punkte:

    1. Durf­te die Ver­wal­te­rin ohne Beschluss han­deln?
      Sie hat­te im Allein­gang Gut­ach­ter und Anwäl­te beauf­tragt. Die Klä­ge­rin mein­te, eine sol­che Maß­nah­me sei nur nach Beschluss der Eigen­tü­mer zulässig.

    2. Muss­ten Alter­na­tiv­an­ge­bo­te ein­ge­holt wer­den?
      Das Land­ge­richt Mün­chen I hat­te in der Vor­in­stanz ent­schie­den, dass der Beschluss über die Beauf­tra­gung der Kanz­lei und die Hono­rar­ver­ein­ba­rung unwirk­sam sei, weil kei­ne Ver­gleichs­an­ge­bo­te vor­ge­legt wurden.

    3. War die nach­träg­li­che Geneh­mi­gung recht­mä­ßig?
      Die Klä­ge­rin hielt die Geneh­mi­gung der bereits erfolg­ten Beauf­tra­gun­gen für eine unzu­läs­si­ge Ent­las­tung der Ver­wal­te­rin. Eine sol­che Geneh­mi­gung, so das Argu­ment, die­ne nur dazu, die Ver­wal­te­rin von ihrer Haf­tung zu befreien.

    Das Urteil 

    Der Bun­des­ge­richts­hof hob die Ent­schei­dung des Land­ge­richts auf und stell­te das amts­ge­richt­li­che Urteil wie­der her. Die Anfech­tungs­kla­ge der Bau­trä­ge­rin blieb damit ohne Erfolg.

    Der BGH entschied:

    1. Kei­ne Pflicht zur Ein­ho­lung von Alter­na­tiv­an­ge­bo­ten
      Bei der Beauf­tra­gung eines Rechts­an­walts müs­sen kei­ne Ver­gleichs­an­ge­bo­te ein­ge­holt wer­den – auch dann nicht, wenn eine Hono­rar­ver­ein­ba­rung vor­ge­se­hen ist. Glei­ches gilt für Gutachter.

    2. Ermes­sen bei der nach­träg­li­chen Geneh­mi­gung
      Woh­nungs­ei­gen­tü­mer dür­fen eine Maß­nah­me, die der Ver­wal­ter ohne Beschluss ver­an­lasst hat, nach­träg­lich geneh­mi­gen. Eine sol­che Geneh­mi­gung ent­spricht ord­nungs­mä­ßi­ger Ver­wal­tung, wenn die Maß­nah­me selbst ord­nungs­ge­mäß war.

    3. Wirt­schaft­lich­keit gewahrt
      Die ver­ein­bar­ten Stun­den­sät­ze von 300 Euro für Anwäl­te und 150 Euro für Sekre­ta­ri­ats­stun­den beweg­ten sich nach Ansicht des Gerichts im ver­tret­ba­ren Rah­men – ins­be­son­de­re ange­sichts der Kom­ple­xi­tät des Falls und der dro­hen­den Verjährung.

    Begründung des Urteils 

    1. Keine Pflicht zu Alternativangeboten

    Der BGH ent­schied, dass die Ein­ho­lung von Alter­na­tiv­an­ge­bo­ten bei der Beauf­tra­gung eines Rechts­an­walts kei­ne Vor­aus­set­zung für ord­nungs­mä­ßi­ge Ver­wal­tung ist. Der Zweck sol­cher Ange­bo­te – Preis- und Leis­tungs­un­ter­schie­de trans­pa­rent zu machen – las­se sich bei Anwalts­dienst­leis­tun­gen nicht sinn­voll erreichen.

    Rechts­an­wäl­te rech­nen ent­we­der nach dem Rechts­an­walts­ver­gü­tungs­ge­setz (RVG) oder auf Basis von Stun­den­ho­no­ra­ren ab. In bei­den Fäl­len hängt die end­gül­ti­ge Ver­gü­tung von unvor­her­seh­ba­ren Fak­to­ren ab: vom Ver­lauf des Ver­fah­rens, vom Ver­hal­ten der Gegen­sei­te oder vom Umfang der anwalt­li­chen Tätig­keit. Ein ech­ter Preis­ver­gleich sei daher unmöglich.

    Dar­über hin­aus sei bei der Aus­wahl eines Rechts­an­walts nicht der Preis, son­dern die fach­li­che Eig­nung und das Ver­trau­en aus­schlag­ge­bend. Die­se Kri­te­ri­en lie­ßen sich nicht durch ein stan­dar­di­sier­tes Ange­bot mes­sen. Auch der gesetz­li­che Schutz vor über­höh­ten Gebüh­ren (§ 3a Abs. 3 RVG) tra­ge dazu bei, unan­ge­mes­se­ne Hono­ra­re zu verhindern.

    Das Gericht stell­te zudem klar, dass die­sel­ben Erwä­gun­gen auch für Gut­ach­ter gel­ten. Auch hier kön­ne ein Ange­bots­ver­gleich sel­ten objek­tiv Aus­kunft über Qua­li­tät und Aus­sa­ge­kraft eines Gut­ach­tens geben.

    2. Nachträgliche Genehmigung ist zulässig

    Mit Blick auf die nach­träg­li­che Geneh­mi­gung von Maß­nah­men durch die Eigen­tü­mer­ver­samm­lung urteil­te der BGH, dass die­se im Ermes­sen der Eigen­tü­mer ste­he. Sie sei recht­mä­ßig, wenn die Maß­nah­me selbst ord­nungs­mä­ßi­ger Ver­wal­tung entspricht.

    Zwar habe der Ver­wal­ter nach § 9b WEG weit­ge­hen­de Ver­tre­tungs­macht, doch kön­ne die Gemein­schaft sein Han­deln nach­träg­lich bestä­ti­gen und damit eine kla­re Grund­la­ge im Innen­ver­hält­nis schaf­fen. Gera­de in Situa­tio­nen, in denen schnel­les Han­deln not­wen­dig ist – wie wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie oder bei dro­hen­der Ver­jäh­rung –, sei dies sachgerecht.

    Eine nach­träg­li­che Geneh­mi­gung die­ne nicht auto­ma­tisch der „Abso­lu­ti­on“ des Ver­wal­ters. Sie kön­ne viel­mehr die gemein­schaft­li­che Ent­schei­dung legi­ti­mie­ren und die inter­ne Ver­ant­wor­tung klären.

    3. Wirtschaftliche Vertretbarkeit der Honorare

    Auch der Vor­wurf, die ver­ein­bar­te Ver­gü­tung sei über­höht, hielt der BGH für unbe­grün­det.
    Die Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft habe inner­halb ihres Beur­tei­lungs­spiel­raums gehan­delt. Sie dür­fe Kos­ten und Nut­zen abwä­gen und dür­fe auch eine teu­re­re Kanz­lei beauf­tra­gen, wenn sie sich davon eine beson­ders qua­li­fi­zier­te Leis­tung verspreche.

    Das Gericht ver­wies dar­auf, dass die beauf­trag­te Kanz­lei bereits mit dem Fall ver­traut war und fach­lich qua­li­fi­ziert erschien. Ange­sichts des Streit­werts von rund 500.000 Euro und der Dring­lich­keit sei das Hono­rar von 300 Euro net­to pro Stun­de nicht zu beanstanden.

    4. Ordentliche Verwaltung trotz fehlender Beschlüsse

    Der BGH wies zudem dar­auf hin, dass die Beauf­tra­gung von Gut­ach­tern und Anwäl­ten im kon­kre­ten Fall eine not­wen­di­ge und sinn­vol­le Maß­nah­me war. Da die Ver­jäh­rung droh­te, durf­te die Ver­wal­te­rin im Inter­es­se der Gemein­schaft handeln.

    Eine nach­träg­li­che Geneh­mi­gung sol­cher Ent­schei­dun­gen sei zuläs­sig, weil sie die Wil­lens­bil­dung der Gemein­schaft nach­ho­le und damit Rechts­si­cher­heit schaffe.

    Bedeutung des BGH-Urteils für die Zukunft

    Das BGH-Urteil V ZR 76/24 hat erheb­li­che Bedeu­tung für die Pra­xis der Wohnungseigentumsverwaltung:

    1. Prak­ti­sche Erleich­te­rung für Ver­wal­ter
      Ver­wal­ter müs­sen künf­tig kei­ne Sor­ge haben, dass Beschlüs­se über Anwalts­auf­trä­ge allein wegen feh­len­der Alter­na­tiv­an­ge­bo­te für ungül­tig erklärt wer­den. Das spart Zeit, Auf­wand und Unsicherheit.

    2. Klar­heit bei Geneh­mi­gun­gen
      Eigen­tü­mer kön­nen Maß­nah­men, die der Ver­wal­ter ohne vor­he­ri­ge Beschluss­fas­sung ergrif­fen hat, nach­träg­lich legi­ti­mie­ren – sofern sie ord­nungs­mä­ßi­ger Ver­wal­tung ent­spre­chen. Damit ent­steht mehr Hand­lungs­si­cher­heit in Krisensituationen.

    3. Abkehr von über­zo­ge­ner For­ma­li­tät
      Der BGH setzt ein deut­li­ches Signal gegen eine über­trie­be­ne For­ma­li­sie­rung der Eigen­tü­mer­be­schlüs­se. Ent­schei­dend bleibt, ob die Maß­nah­me sach­ge­recht und wirt­schaft­lich ver­tret­bar ist – nicht, ob ein büro­kra­ti­sches Ide­al erfüllt wurde.

    4. Weg­fall der „Drei-Ange­bo­te-Regel“ für Anwäl­te und Gut­ach­ter
      Vie­le Ver­wal­ter kann­ten aus der Pra­xis die unge­schrie­be­ne Regel, vor grö­ße­ren Auf­trä­gen drei Ver­gleichs­an­ge­bo­te ein­zu­ho­len. Die­se Pflicht besteht nach der Ent­schei­dung aus­drück­lich nicht für Anwalts- und Gut­ach­ter­auf­trä­ge. Damit wird ein Streit­punkt der Instanz­ge­rich­te end­gül­tig beseitigt.

    5. Signal­wir­kung für ande­re Dienst­leis­ter?
      Auch wenn das Urteil aus­drück­lich auf Anwäl­te und Gut­ach­ter bezo­gen ist, könn­te es Signal­wir­kung für ande­re Dienst­leis­tungs­ver­trä­ge haben, bei denen ein Preis­ver­gleich kaum objek­tiv mög­lich ist – etwa bei Archi­tek­ten oder Mediatoren.

    6. Ver­mei­dung unnö­ti­ger Anfech­tun­gen
      Eigen­tü­mer­ge­mein­schaf­ten und Ver­wal­ter erhal­ten durch das Urteil kla­re Leit­plan­ken, was als ord­nungs­mä­ßi­ge Ver­wal­tung gilt. Das redu­ziert das Risi­ko spä­te­rer Beschluss­an­fech­tun­gen und damit ver­bun­de­ner Prozesskosten.

    Fazit zum BGH-Urteil V ZR 76/24

    Das BGH-Urteil V ZR 76/24 bringt spür­ba­re Ent­las­tung für Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaf­ten und ihre Ver­wal­ter. Der Bun­des­ge­richts­hof betont Prag­ma­tis­mus und Ver­trau­en in die Ent­schei­dungs­frei­heit der Eigentümer.

    Kei­ne Pflicht zu Alter­na­tiv­an­ge­bo­ten bedeu­tet: Weni­ger Büro­kra­tie, mehr Fle­xi­bi­li­tät – aber auch mehr Ver­ant­wor­tung. Eigen­tü­mer müs­sen sorg­fäl­tig prü­fen, ob ein Auf­trag wirt­schaft­lich und sach­ge­recht ist.

    Gleich­zei­tig stärkt der BGH die Rol­le des Ver­wal­ters. Die­ser darf in drin­gen­den Fäl­len eigen­ver­ant­wort­lich han­deln, ohne befürch­ten zu müs­sen, dass for­ma­le Män­gel sei­ne Maß­nah­men nach­träg­lich zu Fall bringen.

    Das Urteil steht für eine moder­ne, pra­xis­na­he Aus­le­gung des WEG-Rechts und dürf­te künf­tig oft zitiert wer­den, wenn es um die Gren­zen ord­nungs­mä­ßi­ger Ver­wal­tung geht.

    (BGH-Urteil v. 18.7.2025, Az. V ZR 76/24)